
Im Zuge der Schmutzkampagne des Jahres 2020 gegen Benedikt Kuhn, den Gründer der Apfelweinmarke Bembel with Care, wurde ihm vorgeworfen, den Terrorismus der Böhnhardt-Mundlos-Gruppe anzuzweifeln oder gar zu leugnen. Zeit für einen Faktencheck, der die Thesen Benedikt Kuhns kritisch hinterfragt und die aufbrandende Empörung ihm gegenüber mit den zaghaften Reaktionen auf linke Verschwörungstheorien zum NSU 2.0 vergleicht.
Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm…
Auf Facebook hatte Benedikt Kuhn ein Interview zur Böhnhardt-Mundlos-Gruppe mit Helmut Roewer, dem ehemaligen Präsidenten des thüringischen Verfassungsschutzes, zur Diskussion gestellt. Das klingt erst einmal nach einer seriösen Quelle, doch Helmut Roewer ist eine ziemlich schillernde und umstrittene Gestalt.

Benedikt Kuhn teilte seine eigenen Gedanken dazu und äußerte Zweifel an der offiziellen Berichterstattung über die Mordserie. Er griff ältere Mutmaßungen über den Lebenswandel der Opfer auf und sprach das seltsame Zeugensterben an.
Cui bono
Benedikt Kuhn hielt es für unglaubwürdig, dass es sich bei der Mordserie um Rechtsterrorismus gehandelt habe, da es den Rechtsextremen außer verschärfter Verfolgung nichts bringen würde, zumal es nach den Einzeltaten keine Bekennerschreiben gegeben habe. Gemeinhin wird dies mit dem Konzept des Führerlosen Widerstandes erklärt, der auf autarke Kleingruppen setzt, die auf Bekennerschreiben verzichten, um den Behörden keine Anhaltspunkte zu geben und die gesellschaftliche Verunsicherung zu erhöhen. Schaut man sich an, welch wilde Theorien rund um die Mordserie ins Kraut schossen, dann ist diese Rechnung auch aufgegangen.
Die Böhnhardt-Mundlos-Gruppe konnte sich lange Zeit ins Fäustchen lachen, denn niemand kam ihnen auf die Schliche, das migrantische Milieu war verunsichert und die Medien begannen, über Vorgänge in abgeschotteten Parallelgesellschaften abseits deutscher Rechtsstaatlichkeit zu berichten, auch wenn diese Spur letztlich ins Leere führte. Der Nutzen für den Rechtsextremismus verflog daher erst mit der Enttarnung und der nachfolgenden medialen und politischen Repression gegen alles, was auch nur rechts angehaucht war.
Rosaroter Panther
Benedikt Kuhn merkte an, dass es stilistisch nicht zu Rechtsextremisten passen würde, ein Bekennervideo mit Szenen aus der Zeichentrickserie Der rosarote Panther zusammenzuschneiden. Das stimmt zwar, aber der gegenwärtige Rechtsextremismus übernimmt viele Stilmittel der Linken, etwa das Auslassen von Vokalen, um Botschaften zu codieren. Bei den Linken heißt es FCK NZS und die Rechtsextremen kontern mit HKNKRZ. Dabei sollte man meinen, dass diese grammatische Entlehnung aus Konsonantensprachen, wie dem Hebräischen und dem Arabischen, im Rechtsextremismus auf wenig Gegenliebe stoßen sollte.
In alten Krimis bestehen Erpresserbriefe aus ausgeschnittenen und zusammengeklebten Zeitungsschnipseln, weil das keinen Rückschluss auf den Urheber zulässt. Gleiches gilt für den Zusammenschnitt eines Bekennervideos aus Bildszenen samt Tonspur einer weit verbreiteten Zeichentrickserie.
Helmut Roewer behauptet im Interview immer wieder, er habe die Akten gelesen, doch seine Ausführungen zum Bekennervideo wirken ziemlich uninformiert. Eigentlich müsste er aus den Untersuchungsakten wissen, dass es zum endgültigen Bekennervideo zwei Vorstufen gab. Anfangs noch ohne Paulchen Panther, aber dafür ganz klassisch mit Rechtsrock unterlegt (S. 135). Auch das Rosarote-Panther-Video existiert in mehreren Bearbeitungsstufen und verlor zur Endversion hin an Aggressivität. In einer früheren Variante waren beispielsweise die Tatorte auf einer Deutschlandkarte noch mit Totenköpfen markiert, in der Endversion dann mit Sternchen (S. 136).
Es scheint mir, als habe die Böhnhardt-Mundlos-Gruppe damit auf größere gesellschaftliche Anschlussfähigkeit gehofft, analog zur Solidarisierung der linken Schickeria mit der Baader-Meinhof-Gruppe.
Zweierlei Maß
Man kann von Benedikt Kuhns Ansichten zur offiziellen Berichterstattung über den Böhnhardt-Mundos-Komplex halten, was man will, aber eigene Zweifel zu äußern und diese zwecks Erkenntnisgewinn zu diskutieren, ist völlig legitim. Genau das verbrieft Artikel 2 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“
Benedikt Kuhn impliziert eine Vertuschungskampagne unter Beteiligung staatlicher Stellen wie dem Verfassungsschutz und genau diese Mutmaßung gibt es von linker Seite genauso. Bei der ganzen Empörung um die Aussagen von Benedikt Kuhn lohnt daher ein vergleichender Blick auf den gesellschaftlichen Umgang mit linken Verschwörungstheorien zum Thema.
NSU 2.0
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) behauptete etwa im Jahr 2020, Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden seien nicht einfach nur auf dem rechten Auge blind, sondern im Fall der Drohbriefe des NSU 2.0 tief in die Machenschaften organisierter Nazistrukturen verwickelt. In Hessen würde die Spur zu einem Computer der Frankfurter Polizei führen, in Berlin sei das Landeskriminalamt und der Verfassungsschutz eng mit den dringend Tatverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie verbandelt.
Anders als bei der Empörungswelle gegen Benedikt Kuhn im gleichen Jahr suchte man hier das Gespräch. Die damalige hessische Oppositionsführerin und nachmalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser veröffentlichte in der Zeitschrift Antifa des VVN-BdA einen Gastbeitrag. Um für diese Kreise ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen, wies sie erst einmal auf die zwei Drohschreiben hin, die sie selbst vom NSU 2.0 erhalten habe. Dann unterstrich Nancy Faeser, dass auch ihre SPD seit jeher dem antifaschistischen Kampf verpflichtet sei, um schließlich anzumerken, dass der mutmaßliche Haupttäter wohl gefasst sei und seine Schreiben anscheinend ohne fremde Hilfe verfasst habe. Hinsichtlich der Verschwörungstheorie von rechtsextrem unterwanderten Sicherheitsbehörden beschwichtigte Nancy Faeser also dezent.
Verfassungsschutz vs. VVN-BdA
Als Nancy Faeser dann Bundesinnenministerin wurde, sorgte ihr Gastbeitrag für Kritik im bürgerlichen Lager, denn damals wurde die VVN-BdA noch vom bayrischen Verfassungsschutz beobachtet. Dieser schrieb in seinem Bericht des Jahres 2020 auf S. 258, die VVN-BdA sei die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Anlassbezogen arbeite sie auch mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. In der VVN-BdA werde nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des Antifaschismus diene nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr würden alle nicht-marxistischen Systeme, also auch die parlamentarische Demokratie, als potentiell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe des Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gelte.

Presse vs. Verfassungsschutz
Als Gegenreaktion auf die Kritik an Nancy Faeser wurde sie medial vielfach in Schutz genommen, etwa in einem Kommentar des öffentlich-rechtlichen Bayrischen Rundfunks. Dort hieß es, die Verfassungsschutzbeobachtung der VVN-BdA sei nicht gerechtfertigt und die Antifa nicht mit dem Schwarzen Block gleichzusetzen.
Die Frankfurter Rundschau stieß ins gleiche Horn. Die Einschätzung des Verfassungsschutzes sei laut Finanzamt Berlin widerlegt und die zeitweilige Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA rückgängig gemacht worden, weil die Vorsitzenden eidesstattliche Erklärungen abgegeben hätten, dass es von keiner verantwortlichen Persönlichkeit im Verband eine Äußerung gebe, dass die Demokratie und nicht-marxistische Systeme potentiell faschistisch seien und es sie zu bekämpfen gelte.
Die eidesstattlichen Erklärungen sprechen jedoch nur von verantwortlichen Persönlichkeiten im Verband, über das Faschismusverständnis von nachrangigen Mitgliedern wird keine Aussage getroffen. Für mich widerlegt das nicht den Vorwurf einer linksextremen Beeinflussung und der punktuellen Zusammenarbeit mit offen linksextremistischen Kräften.
Plakative Ignoranz
Dies zeigt sich auch an einer Plakatausstellung der VVN-BdA zu Rechtsextremismus. Auf dem Plakat „Danke, Antifa“ wird die Antifa ganz im Sinne des Bayrischen Rundfunks nicht auf den Schwarzen Block reduziert. Dieser wird jedoch ohne Distanzierung als ein Teil des Ganzen dargestellt. Das verwendete Bild mit Autonomen des Schwarzen Blocks verweist auf die Demonstration „Neue Rechte versenken“ und gibt als Fotografen PM Cheung an. Mit diesen Angaben findet man auf Flickr weitere Bilder dieses Protestzuges. Ich habe das Plakat der VVN-BdA mit weiteren Bildern PM Cheungs von derselben Demonstration als dokumentarisches Bildzitat in einer Collage zusammengeführt.

Auf dem Plakat der VVN-BdA wurde die Frontalaufnahme des Protestzuges mit der Antifa-Flagge verwendet. Das zweite Bild von PM Cheung zeigt noch einen Teilausschnitt des Banners „Neue Rechte versenken“, dazu ein Banner „Die AfD ist wie ein Dixi-Klo“. Im dritten Bild sieht man einen Teilausschnitt des Banners „Die AfD ist wie ein Dixi-Klo“ und dazu das Banner „Autonome Strukturen verteidigen“, das einen Vermummten mit einem Molotow-Cocktail zeigt. Es handelt sich also um fortlaufende Bilder desselben Protestzuges.
Für mich bestätigt sich darin die vormalige Einschätzung des Bayrischen Verfassungsschutzes, dass sich die VVN-BdA nicht ausreichend von offen linksextremistischen Kräften abgrenzt. In der Presse störte man sich interessanterweise nicht an besagter Ausstellung der VVN-BdA zu Rechtsextremismus. Eine Plakatausstellung zu Linksextremismus, die das Land Hessen für den schulischen Gebrauch erstellen ließ, wurde medial hingegen harsch kritisiert.
Verhältnis der VVN-BdA zur Gewalt
Oft heißt es, die mediale Ungleichbehandlung rühre daher, dass der Rechtsextremismus das gefährlichere Phänomen sei und der Linksextremismus nur die Reaktion wäre. Doch sich wie auf dem Banner der Demonstration „Neue Rechte versenken“ mit einem Brandsatz verteidigen zu wollen, zeigt ein sehr eigenwilliges Verständnis von Notwehr in linksextremen Kreisen.
Darum sind auch die Äußerungen der VVN-BdA zu linker Gewalt relevant. In einer Presseerklärung zum Prozess gegen Lina E. hieß es: Antifaschismus sei kein Verbrechen und erst recht kein Terrorismus. Es gebe viele Formen des Antifaschismus und sie alle hätten ihre Berechtigung. Deshalb sei man mit allen Antifaschisten solidarisch. Gewalt dürfe kein Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein, doch diesen Weg würden Rechtsextremisten wählen. Der Prozess sei deswegen eine Verdrehung und die dringendste Aufgabe wäre es, Rechtsextremisten zu stoppen.

Die VVN-BdA windet sich verbal, doch zwischen den Zeilen scheint für mich durchzuschimmern, dass man sich in einer präventiven Notwehrsituation wähnt, die Gewalt nicht nur zur akuten Gefahrenabwehr rechtfertigt, sondern auch vorbeugend, bevor die Rechtsextremen selbst gewalttätig werden können, da der Staat untätig bleibe.
Wenn zwei das Gleiche machen, ist es noch lange nicht dasselbe
Die VVN-BdA scheint Linksterrorismus zu relativieren und mutmaßt, die Sicherheitsbehörden seien rechtsextrem unterwandert. Dennoch wird sie gehätschelt und erhielt sogar die Gemeinnützigkeit zurück. Wenn Benedikt Kuhn hingegen über die offenen Fragen im Böhnhardt-Mundlos-Komplex diskutieren möchte und dabei andeutet, der Staat sei wohl eher von Linken unterwandert, ist die Hölle los und seine berufliche Existenz wird vernichtet.
Ich schreibe es noch einmal: Man kann von Benedikt Kuhns Ansichten zur offiziellen Berichterstattung über den Böhnhardt-Mundos-Komplex halten, was man will, aber eigene Zweifel zu äußern und diese zwecks Erkenntnisgewinn zu diskutieren, ist völlig legitim. Genau das verbrieft Artikel 2 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“