(K)ein Tag der Befreiung? – Erster Teil der Aufarbeitung zur Hexenjagd auf Benedikt Kuhn

„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.

Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.“

Dieser Auszug der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard vom Weizäcker zum 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Europa wird häufig zitiert. Insbesondere die ersten beiden Sätze. Die nachfolgende Passage über Leiden, Flucht, Vertreibung und Unfreiheit wird meist unter den Teppich gekehrt. Schließlich habe alles seinen Ursprung in der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahr 1933 gehabt.

Einspruch dagegen erhob etwa der Historiker Hubertus Knabe in seinem Buch: „Tag der Befreiung?“ Er verweist darauf, dass der stalinistische Terror im sowjetischen Herrschaftsbereich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg begann und auch danach nicht endete. Dieser könne darum nicht allein in Abhängigkeit von Hitler betrachtet werden.

Zum 80. Jahrestag des Kriegsausbruchs in Europa verabschiedete das Europäische Parlament einen gemeinsamen Entschließungsantrag mit ähnlicher Stoßrichtung. Darin wird daran erinnert, dass nur ein Teil der besetzten Länder ihre Eigenstaatlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg wiedererlangten und jene unter sowjetischer Herrschaft (beispielweise die DDR) für ein weiteres halbes Jahrhundert Diktaturen blieben.

Gerade zu den runden Jahrestagen entfacht sich immer wieder eine Debatte darüber, ob der 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ zu bewerten sei. Im Jahr 1995 führte das Institut für Demoskopie Allensbach dazu eine Bevölkerungsbefragung durch, darunter auch Zeitzeugen. Bei einer rein holzschnittartigen Antwortmöglichkeit, ob es sich um eine Niederlage oder eine Befreiung gehandelt habe, wurde das Kriegsende überwiegend als Befreiung empfunden. Bei differenzierter Nachfrage ergab sich, dass das Kriegsende zwar eine Besetzung und keine Befreiung gewesen sei, diese aber nicht als Niederlage, sondern als Chance zum Neuanfang gesehen wurde. Die Assoziation mit Hunger, Not, Chaos und Besetzung war bei den Nachgeborenen weit weniger ausgeprägt als bei der Erlebnisgeneration.1

Beispielhaft hat der erste Bundespräsidenten Theodor Heuss die Ambivalenz dieses Datums in Worte gefasst:

„Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“2

Sollte der 8. Mai ein Feiertag sein?

Diese Differenziertheit schwindet im öffentlichen Gedenken immer mehr. In der Rede Richard von Weizäckers hieß es 1985 zum 40. Jahrestag noch:

„Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewußt erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, daß Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang.“

Zum 75. Jahrestag wurde der 8. Mai in Berlin erstmalig als Feiertag begangen, was zu allen runden Jahrestagen fortgesetzt werden soll. Also auch im Jahr 2025. Bei der Tagesschau gab es 2020 dazu einen Kommentar, dass es längst überfällig sei, den 8. Mai als bundesweiten Feiertag einzuführen. Irgendeine Spur von Ambivalenz suchte man vergebens, etwa durch die Einschränkung, dies in Form eines Stillen Feiertags anzustreben.

Aktion und Reaktion

Die Einseitigkeit des Gedenkens provoziert unweigerlich Trotzreaktionen und Reaktanz. So erstellte im Jahr 2020 der Jungunternehmer Benedikt Kuhn einen Beitrag auf seinem rein privat genutzten Profil bei Instagram. Zu sehen war eine blutverschmierte Fliegerbombe, dazu der Schriftzug, dass der 8. Mai 1945 kein Tag der Befreiung gewesen sei. Auf Nachfrage teilte er mit, Churchill habe nicht vorgehabt, Deutschland zu befreien, das Land sei durch die Stationierung amerikanischer und britischer Truppen weiter besetzt, zudem sei das Besatzungsstatut noch in Kraft.

Daraufhin brach eine Empörungswelle in den sozialen Medien los, die von der regionalen und überregionalen Presse aufgegriffen wurde. Seine Apfelweinmarke Bembel with Care verschwand bei fast allen vertreibenden Supermärkten zeitweilig aus dem Sortiment. Um die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter zu retten, blieb ihm nichts anderes übrig, als sämtliche Marken- und Vertriebsrechte ohne Gegenleistung an die den Apfelwein herstellende Kelterei abzutreten. Bei 18 Millionen verkauften Getränkedosen pro Jahr ist seinen Geschäftspartnern damit mutmaßlich ein goldener Apfel in den Schoß gefallen.

Befreiung Deutschlands als alliiertes Kriegsziel?

Laut dem Historiker Alexander Demandt sei der britische Premierminister Winston Churchill tatsächlich nicht nur gegen den Faschismus zu Felde gezogen, sondern gegen Deutschland an sich, wie auch schon im Ersten Weltkrieg.3 Für den Historiker Henning Köhler waren sich sogar alle Alliierten darin einig, nicht nur gegen Hitler und die nationalsozialistische Diktatur zu kämpfen, sondern gegen Deutschland als größte Wirtschafts- und Militärmacht in Europa, die außer Stande gesetzt werden sollte, jemals wieder Schaden anzurichten.4 Diese Einschätzung ergibt sich auch aus den Quellen, wie der amerikanischen Direktive JCS 1067. Gemäß dieser solle Deutschland nicht zum Zweck seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat besetzt werden. Der erinnerungspolitische Formelkompromiss diesbezüglich ist meist, die Westalliierten seien als Besatzer gekommen und als Verbündete geblieben.

Fortwirken des Besatzungsstatuts?

Benedikt Kuhn wird im FAZ-Artikel darüber belehrt, das Besatzungsstatut sei 1954 aufgehoben worden und Deutschland habe mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 seine vollständige Souveränität zurückerhalten. Das ist formal richtig, aber doch nur die halbe Wahrheit.

Benedikt Kuhn macht mangelnde Souveränität an der fehlenden deutschen Verteidigungsfähigkeit fest, die sich an den hier stationierten ausländischen Truppen zeigt. Nach klassischem Verständnis ist die Fähigkeit zur militärischen Selbstbehauptung tatsächlich Kernbestand staatlicher Souveränität, wie der Historiker Alexander Demandt ausführt:

„Aufgabe des Militärs war zu allen Zeiten die Sicherung von Recht und Frieden, wenngleich darunter sehr Verschiedenes verstanden werden konnte. Die aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs gewonnene Friedensbereitschaft und die im Artikel 26 des Grundgesetzes festgeschriebene Friedenspflicht erklären es, daß die Bundesrepublik Souveränität im klassischen Sinn, die ja Kriegserklärung nach freiem Ermessen einschließt, nie gewonnen, nie begehrt hat. Da Deutschland im Zwei-plus-Vier-Vertrag volle militärische und politische Handlungsfreiheit gegenüber den Vertragspartnern verzichtet hat, unterwarf es sich künftigen Sanktionen der Signatarmächte, falls es dennoch einmal von der verbal zugestandenen «vollen Souveränität» Gebrauch machen wollte.“5

Bestimmte alliierte Sonderrechte aus Vereinbarungen wie dem Besatzungsstatut wurden laut dem Historiker Josef Foschepoth zudem nicht gänzlich aufgehoben, sondern in andere Verträge überführt; insbesondere im geheimdienstlichen Bereich. Sie werden von US-Geheimdiensten so extensiv genutzt, dass sich auch die Presse mitunter fragt, wie souverän Deutschland eigentlich ist.

Im Jahr 2011 meinte der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble dazu allgemein, dass Deutschland seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen sei.

Benedikt Kuhn hatte Recht

Wolfgang Schäuble zeigte auch kein Interesse daran, Souveränitätsrechte zurückzuerlangen, sondern wollte eine Volksabstimmung darüber anstoßen, dass Deutschland weitere Souveränitätsrechte an Brüssel abtreten könne.

Benedikt Kuhn scheint davon auszugehen, dass diese Politik wie im Kalten Krieg von den Siegermächten ausgeht. Der erste Nato-Generalsekretär Hastings Ismay hatte den Zweck des Verteidigungsbündnisses mit einem dreifachen Ziel umrissen. Die Russen draußen halten, die Amerikaner drinnen halten und die Deutschen niederhalten.

Ich persönlich würde eher vermuten, dass die von den 68ern geprägten Sozialrevolutionäre nach ihrem Langen Marsch durch die Institutionen mittlerweile an den Schalthebeln der Macht in Politik, Universitäten und Journalismus angekommen sind. Nun machen sie sich daran, ihre Gesellschaftsvorstellungen umzusetzen. Die alten Kriegsgegner schauen der Selbstzerstörung Deutschlands amüsiert zu oder rufen vergeblich zur Vernunft auf, was Migration, Sicherheitspolitik, Energiewende, Deindustrialisierung und Meinungsfreiheit angeht.

Meinungsfreiheit vs. Cancel Culture

Wie es speziell um die Meinungsfreiheit in Deutschland bestellt ist, zeigt sich eindrucksvoll am Beispiel von Benedikt Kuhn. Eigentlich ist die Meinungsfreiheit ein in Artikel 5 des Grundgesetzes verankertes Abwehrrecht gegen den Staat. Der kommt seiner Verpflichtung aber nicht nach, dafür zu sorgen, dass man dieses Recht auch ausüben kann, ohne gesellschaftlich und beruflich massive Konsequenzen bis hin zur Existenzvernichtung fürchten zu müssen.

Die Äußerungen von Benedikt Kuhn mögen unglücklich formuliert gewesen sein, aber inhaltlich hat er den Finger in die Wunde deutscher Lebenslügen gelegt. Das zeigt sich gegenwärtig an den ganzen hektischen Debatten über Aufrüstung gegen Russland und Emanzipation von den USA anlässlich der Präsidentschaft von Donald Trump.

Ich kenne Benedikt Kuhn zufällig ein wenig und konnte mich mit ihm über den Fall unterhalten. Daher weiß ich, dass er gewiss kein „Nazi“ ist.

In den folgenden Artikeln werde ich den Fall weiter aufarbeiten mit dem Ziel, die schädlichen Mechanismen der Cancel Culture zu beleuchten: Bei Abweichlern vom Meinungskorridor wird nach missverständlichem Material gesucht, das aus dem Kontext gerissen und skandalisiert wird, um diese mundtot zu machen und einen Abschreckungseffekt für andere zu erzeugen.

  1. Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie. Bd. 10 (1993-1997), hrsg. v. Elisabeth Noelle-Neumann u. Renate Köcher, München 1997, S. 523-528. ↩︎
  2. Rede vor dem Parlamentarischen Rat (8.5.1949), in: Theodor Heuss: Die großen Reden. Der Staatsmann, Tübingen 1965, S. 86. ↩︎
  3. Demandt, Alexander: Es hätte auch anders kommen können. Wendepunkte deutscher Geschichte, Berlin 2010, S. 234. ↩︎
  4. Köhler, Henning: Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte, Stuttgart Leipzig 2002, S. 439. ↩︎
  5. Demandt, Alexander: Über die Deutschen. Eine kleine Kulturgeschichte, Berlin 2007, S. 401f. ↩︎